Hallo Ihr.
Mein Erlebnis ist viel schlimmer. Ich brauchte Tage, um mich davon zu erholen. Es ist vielleicht vier Jahre her. Ich habe ja junge erwachsene Söhne, wie ihr vielleicht wisst, von denen der letzte soeben ausgezogen war. Seine beiden Zimmer hatte er noch nicht komplett geräumt, sondern vor allem eine fulminate Abschiedsfete gefeiert. Er hatte zwar die Aschenbecher geleert und die Gläser in die Spülmaschine gestellt, liess aber die leeren Flaschen von seiner Feier zurück. Und weil er nach Luxemburg gezogen war, befand er sich ausserhalb meiner Reichweite.
Zudem habe ich eine schwerpflegebedürftige Mutter, die damals noch 60 Kilometer entfernt wohnte. Pflegehund Tino war damals neu bei uns angekommen. Er war unmöglich, er biss, und er machte Türen und Fenster auf.
Es war also ein Montag. Das Wochenende war Mutterpflege gewesen, auch über die Nächte, ich war völlig erschöpft. Danach nahm ich mir immer den Montag als Sonntag, okay? Ausschlafen, Zeit gewinnen, mich erholen....
In der Woche vorher hatte ich angefangen den Keller zu entrümpeln. Muss ja auch mal sein, gell? In der großen Wohnküche standen also Kisten mit allerhand Schrottzeug: Alte Schuhe, vor allem von den Kindern, aber auch von mir, längst nicht mehr benutzte Fahrradhelme... Zeug was über Jahre so zusammenkommt, und von dem man sich trennt, wenn der letzte Spross das Haus verlässt. Zudem hatte ich begonnen, die Fetenreste des jüngsten Sohnes zu entsorgen: Bierkästen, Colaflaschen, drei leere Wodkapullen... das hatte ich alles schon mal in die große Wohnküche geschleppt. In diesem Raum, nach dem Flur der nächste, herrschte also helles Chaos.
Nach zwei immer wieder von der kranken Mutter wachgehaltenen Nächten, hatte ich die Nacht von Sonntag auf Montag fest durchgeschlafen, hatte nichts gehört, nichts gesehen, nichts mitbekommen, um 10 träumte ich immer noch fest und tief, als mich ungeduldiges Klingeln aus dem Schlaf riss. Das heisst, das Kingeln war gar nicht so schlimm, sondern meine Hunde begannen wie wild zu bellen. Also raus aus dem Bett, im mini-kurzen Nachthemd zur Tür getapert, Tür einen Spalt aufgemacht.
Draussen standen zu meiner Verwunderung fünf Männer in entweder grünen Parkas oder beigen Trenchcoats. Und zwar im geschlossenen Halbkreis.
"Guten Tag! - Kriminalpolizei! -Hausdurchsuchung! Hier sind unsere Ausweise, hier ist unser Durchsuchungsbefehl!"
Ein weißer Papierbogen schwankte undeutlich vor meiner Nase; natürlich hatte ich die Brille nicht auf.
Vor lauter Schreck ließ ich die Türklinke fahren, die Hunde stoben nach draussen, und stürzten sich laut keifernd auf die Kriminalbeamten. "Halten Sie die Hunde zurück!" brüllten drei davon Unisono. Ich war nicht in der Lage, überhaupt irgendetwas zu tun. Ich stand da in meinem ärmellosen, viel zu kurzem Baumwollhemdchen, weiß, mit verwaschenen roten Kringeln und begriff die Welt nicht mehr. In meinem Kopf kreuzten sich zwei Gedanken: Erstens: das muss ein Irrtum sein! Und zweitens: Habe ich überhaupt einen Schlüpfer an?
Ich konnte die Hunde nicht zurückpfeifen. Ich war nicht fähig dazu. Ich bekam keinen Ton heraus.
Gottseidank kam mir ein vierter Mann zu Hilfe, es war der, der rechts von mir mitten in meinem Rosenbeet stand, was mein Unterbewusstsein mit Unbill zur Kenntnis nahm. Dieser "Rosentreter" begann nun freundlich auf meine Kötis einzusprechen, sie zu streicheln, worauf sie ihre Köpfe begierig zwischen seine Knie drängten. "Das sind doch so liebe Hunde !" verkündete er seinen Kollegen.
Dadurch hatte ich Zeit gewonnen, mich zu besinnen. "Das muss ein Irrtum sein", erklärte ich. "Worum handelt es sich überhaupt?"
Der mittlere Mann, der sich und alle anderen ausgewiesen hatte und mir direkt gegenüberstand, begann zu sprechen: "Wir suchen XY soundso. Ist das Ihr Partner?"
"Nein, das ist mein jüngster Sohn."
"Nun denn. Der Beklagte Soundso hat in der Gerichtsverhandlung vom... unter Eid geschworen von Ihrem ... ähem... Sohn, Drogen im Werte von 1500 Euro gekauft zu haben. Dabei handelt es sich um selbst angebautes Marihuana."
An diesem Punkt musste ich lachen. "Der hat Ihnen aber schön was erzählt! Der hat versucht, die Schuld von jemand anderen, den er nicht belasten wollte, abzuwälzen!"
"Yau", meinte der Mann zu meiner Linken abschätzig, "das sagen sie alle!"
"Kommen Sie rein!" rief ich. "Sie können in jeden Winkel gucken, es gibt hier kein Marihuana und erst recht keine Plantage!"
Trotzdem wurde ich wieder ungeheuer unsicher, als ich die Herren die Küche betreten sah. Natürlich galt ihr erster Blick dem Chaos und den Wodkaflaschen. "Wohnt hier Herr Soundso, Ihr ... Sohn? "
"Nein, nein, der wohnte drei Zimmer weiter! Sie müssen erst durch mein Büro gehen, was ins Wohnzimmer übergeht, dann kommen seine beiden Räume. Keine Sorge, hier in der Küche herrscht gerade Chaos, denn ich habe angefangen den Keller zu entrümpeln, gehen wir nur einen Schritt in den nächsten Raum, dort kann es nur besser werden!"
Während sie die Küche betrachteten, hatte ich mir rasch einen Bademantel übergeworfen, und weil ich meine Pantoffeln in der Eile nicht fand, wählte ich ein paar rote Stöckeln aus der Kiste der ausrangierten Schuhe. Halbwegs selbstsicher öffnete sich also die angelehnte Tür zum nächsten Raum. - Und was war dort?
Ein Fenster hinter dem Schreibtisch stand halb auf. Die Scheibengardinen waren heruntergerissen. Die sanft orangen Chinzvorhänge waren heruntergerissen, die lange Vorhangstange steckte nur noch rechts in ihrem Halter, links berührte sie den Boden. Die ausgetopften Topfpflanzen von der Fensterbank befanden sich auf dem Teppich, das Telefon steckte mitten darin in ausgeschütteter Erde, Maus und Tastatur des Computers pendelten an schwingenden Kabeln 10 Zentimeter darüber.
"Oh je!" rief ich zutieft bestürzt zu den Herren, "das war der neue Pflegehund! Wenn er nachts muss, macht er die Fenster auf!" - In diesem Moment war mir klar, dass mir kein Mensch glauben würde.
Irgendwie war es jetzt aber auch egal. Ich konnte nichts mehr machen, ich konnte nichts verbessern. Mit barscher Stimme wurde ich angewiesen, meine Hunde wegzusperren, denn sie hätten Drogensuchhunde dabei. Eine Dreiereinheit stürmte die Zimmer meines Sohnes, vielleicht hoffend dort sonstwas vorzufinden; der "Rosentreter" eilte mit mir zurück in die Küche und an mir vorbei, um seine Drogensuchhunde zu holen, ich sperrte meine Kötis ins Schlafzimmer. Ich nutze die Gelegenheit, mir eine Hose und ein T-shirt überzustreifen. Der mittlere der Männer, der alle ausgewiesen hatte, hatte Platz vom großen Küchentisch ergriffen. Er hatte einen Laptop ausgeklappt. Nun wollte er Auskunft über meinen Sohn haben. Ich gab sie ihm, während ich derweil einen guten schwarzen Tee kochte. Ich erzählte ihm, dass der Sohn mit 14, 15 auch mal Marihuana geraucht habe, aber längst darüber weg sei. Möglicherweise würde der junge Mann aus dem Gerichtsverfahren ihn daher kennen, könnte deshalb seinen Namen nennen. Aber der Sohn würde längst etwas anderes machen, sei gut in der Schule gewesen, stünde jetzt am Ende seiner Ausbildung ... hier hätte ich alle Unterlagen. Ob er sich das kopieren wollte?
"Kann ich ja nicht!" sagte der Herr Kriminalbeamter. "Macht nix! Ich habe ja ein Fax! Ich kann es für Sie kopieren!", rief ich tapfer. Das wollte er auch! Also bin ich hin zum Fax und habe die erste Seite eingelegt. Daraufhin begann das Fax in höchsten Tönen zu schreien und zu quieken. So wie ein altes Gerät schreit, wenn es falsch behandelt wird. Heute schreien und dongeln solche Geräte ja viel sanfter, aber die Generation 2002 oder 2004, die quiekt noch zum Steinerweichen. Also, das Fax brüllte seine mechanischen Warnungslaute in die Welt, und mir wurde klar, Pflegehund Tino war hier auch draufgestiegen, in seinem Bemühen die Fenster zu öffnen. Vielleicht hatte er mit seinen Pfoten in die Welt gefaxt: "Hilfe! Ich habe Durchfall, Frauchen schläft und das Fenster ist zu!"
Das Fax schrie und schrie. Und die Gebrauchsanleitung für das Fax ist 380 Seiten stark! Kurz entschlossen bin ich unter den Schreibtisch gekrochen und habe alle Kabelverbindungen entfernt.
Da saß ich nun, unter dem Schreibtisch, vor der Heizung, und stellte fest, dass ich immer noch die roten Stöckelschuhe anhatte. Mein Gott, wie war das alles peinlich und nervenaufreibend!
Wieder hervorgekrochen, die Sachen kopiert, dem Herrn die kopierten Unterlagen gegeben, inzwischen gab es aber auch schon Entwarnung aus den Räumen des jüngeren Sohnes. Nichts gefunden, keine Spur von Drogen. Nicht einmal eine Ahnung davon.
Nun müssten nur noch der Keller, die Garage, der Schuppen und der große Garten durchsucht werden.
Nach einer weiteren Stunde verabschiedeten sie sich. Alles war negativ verlaufen, klar.
Aber ich war so fertig, ich musste mich erstmal ins Bett legen, und bin da auch lange Zeit liegengebleiben.
Lieben Gruß,
Geli