Sagen und Legende

Suedwind

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Wien
Der Wein und der Teufel

Die Welt war schon erschaffen, und Gott schickte sich an, einen Weinberg anzulegen. Da fragte der Teufel: "Was tust du da?"
"Ich pflanze Weintrauben", sagte Gott, "es wird Zeiten geben, da braucht der Mensch Wein, damit es ihm wieder etwas besser geht."
"Hast du etwas dagegen, daß ich dir helfe?"
Gott dachte einen Augenblick nach.
"Was er wohl vor hat?" überlegte er. Na, was konnte schon Schlimmes passieren. Also antwortete er: "Von mir aus... du darfst helfen."
"Du wirst erstaunt sein, welche Hilfe du an mir hast", sagte der Teufel und machte sich augenblicklich an die Arbeit.
Zuerst tötete er eine Spottdrossel und ließ das Blut in die Reihen tropfen.
Dann tötete er einen Löwen und ein Schwein und sprengte ihr Blut aus von einem Ende des Weinberges bis zum anderen.
"Jetzt bin ich fertig", sprach er. "Jetzt können wir nichts anderes tun, als abzuwarten."
Alle wissen nur zu gut, was geschah.
Wenn die Menschen anfangen zu trinken, verspüren sie zuerst die Wirkung des Vogelblutes und fangen an zu singen. Trinken sie weiter, so kommt das Löwenblut zur Wirkung. Die Trinker fangen sich an zu streiten und zu schlagen. Trinken aber die Menschen immer noch weiter, beginnt auch das Schweineblut zu wirken, und die Zecher landen irgendwo in der Gosse.
Ay qué mala suerte!

(Mexico)
 
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Das Wassermännchen

Bei den Bewohnern des Magdalenengrundes in Wien geht die Sage, daß im Wasser des Wienflusses seit langer Zeit ein Wassermännchen hause. Es soll von kleiner, etwas krummer Gestalt sein, tiefe Augenhöhlen und ein sehr blasses Gesicht haben. Es trägt einen grauen Rock, von dem beständig Wasser herabträufelt, einen grünen Hut mit einem schwarzen Bande und rote Röhrenstiefel mit roten Quasten. Sein Haupthaar reicht bis zur Erde. Abends bei feuchtem Wetter läßt es sich öfters mit zur Erde gesenkten Blicken auf den Brettern der Wehre sehen. Es lockt die Menschen durch beständiges Winken in seine Nähe. Ist ihm einer nahe genug, so ergreift es eine günstige Gelegenheit, um ihn in seine Gewalt zu bringen. So lange das Männchen da ist, kann das Wasser nicht austrocknen, noch dessen Tiefe erforscht werden. Selbst im Jahre 1834, als Wiens Vorstädte Mangel an Wasser hatten, soll man den begehrten Stoff von hier in großer Menge weggeführt haben. Das Wassermännchen hat daselbst mehrere Gemächer, in welchen es wohnt und die Seelen der Unglücklichen aufbewahrt. Tieren, zum Beispiel Pferden, Ochsen, Schweinen, die zur Schwemme getrieben werden, tut es nichts zuleide. So soll es hier schon seit langer Zeit herrschen und jährlich wenigstens ein Opfer verlangen.

Vor Jahren geschah folgendes:

Ein junger, mutwilliger Mensch, der nicht schwimmen konnte, band sich mehrere Ochsenblasen um den Leib und wagte sich mit diesen, im festen Vertrauen, nicht untergehen zu können, in die Nähe der gefährlichen Stelle. Es dauerte nicht lange, als man ihn wanken und bald auch untersinken sah. Man sagt, das Wassermännchen habe sein Opfer in seine Nähe gelockt und eine der Blasen abgelöst.

Ein Knabe erzählte: Einmal hätte mein Bruder fast ein ähnliches Schicksal gehabt. Es war im Herbst und der Wienfluß war angeschwollen. Wir gingen mit mehreren Kameraden an sein Ufer, um das von der Wehre herabgeschwemmte Holz aufzufangen. Schon im Begriffe nach Hause zu gehen, sah mein Bruder eine schöne Gerte daherschwimmen. Er eilte den kleinen Abhang hinab und wollte die Gerte mittels einer Stange an sich ziehen. Da sie zu kurz war, neigte er sich vor, aber unter seinen Füßen löste sich der Stein, auf dem er stand, und er stürzte ins Wasser. Wir bemerkten dies nicht. Erst auf den Ruf eines kleinen Mädchens: "Schauts den an, er schwimmt!" sahen wir den Händeringenden und es gelang uns, ihn wieder ans Ufer zu ziehen. Das Wassermännchen hatte ihn durch die Gerte gelockt und dann den Stein unter seinen Füßen losgemacht.

In den Ortschaften nächst der ehemaligen "Linie" erzählt man: Das Wassermännchen bewohnt die Stelle der ehemaligen Wehre abwärts von der Schönbrunner Brücke, wo ein Schleusenhäuschen steht. Seine Kleidung besteht aus einem grauen Rock mir blauen Knöpfen und gelben Beinkleidern. Seine Haare sind grün, glänzend und beständig naß. Den Tag über schläft es in seinen unterirdischen Gemächern, über die das Wasser rieselt. Nach dem Gebetläuten kommt es hervor und lauert. Gerät nun ein Mensch in seinen Bereich, so zieht es behende einen goldenen Kamm aus der linken Rocktasche und kämmt sich die Haare. Hat es dies getan, so ist gemeiniglich der Mensch schon verloren und nur durch schnelle Geistesgegenwart gelingt es ihm, sich zu retten. Springt er nämlich über die Wagengeleise, so hat das Wassermännchen keine Macht mehr über ihn und zornig taucht es unter, daß die Wellen über ihn zusammenspritzen.

Ein Kürschnermeister von Gaudenzdorf, der weit umher als der beste Schwimmer bekannt war, ging mit seinen zwei Gesellen nach dem Ave Maria an die Wien hinab, um zu baden. Er war der erste im Wasser und zeigte seinen Gesellen, die sich noch nicht ausgezogen hatten, allerlei Schwimmkünste. Auf einmal packte ihn das Wassermännchen beim Fuß und ersäufte ihn im Wasser. Die Gesellen entflohen, ihre Kleider im Stich lassend, und erzählten das traurige Ereignis.


Quelle: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 3, S. 3ff
Für SAGEN.at korrekturgelesen von Anja Christina Hautzinger, April 2005.
 
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Die Neugierige

In einem Dorf war einmal eine sehr neugierige Frau.
Jedesmal wenn sie irgendeinen Lärm hörte oder ein Geräusch, so unbedeutend es auch sein mochte, lief sie die Treppe hinunter, um zu sehen, was da vor sich ginge.
Es machte ihr nichts aus, selbst um Mitternacht aufzustehen, wenn sie nur ihre Neugier befriedigen konnte.
Eines Nachts hörte sie wieder ein Geräusch, und sie dachte, daß auf dem Platz etwas vor sich gehen müsse.
Sie stand auf und lief hinunter, und da sah sie, daß eine große Menge von Leuten die Straße vor ihrem Hause dahinzog.
Sie blieb am Fenster, in der Erwartung, zu sehen, was es da gäbe.
Und allmählich wurde ihr klar, daß es sich um eine Prozession handeln müsse.
Alle Vorbeiziehenden stimmten schwermütige Weisen an, deren Worte die Neugierige freilich nicht verstehen konnte.
Als die Menge nah genug war, versuchte die Frau alles mögliche, um jemand von den Vorbeiziehenden zu erkennen, aber es gelang ihr nicht, denn die einen hatten - so schien es - keine Nasen,
die andern keine Augen, die dritten keinen Mund.
Die Neugierige erschrak, aber sie zog sich nicht zurück.
Unterdessen näherte sich ihr ein Mann mit einem Licht in der Hand, und das gab er ihr mit den Worten:
"Wenn die Prozession zu Ende ist, dann lösch das Licht und verwahre es in einem Koffer!"
Die Frau machte es so, wie ihr gesagt worden war, aber sie war voll Angst.
Und am nächsten Morgen ging sie zum Pfarrer des Dorfes und erzählte ihm, was sich zugetragen hatte.
Der Pfarrer aber sagte ihr, es müsse sich um den Teufel gehandelt haben.
Und damit er sie nicht mitschleppe, zur Strafe für ihre Neugier, müsse sie sich eine Anzahl von Säuglingen ins Haus holen, weiter Rosmarin und geweihte Palmzweige sowie etwas Weihrauch.
Und er riet ihr, sie solle - wenn jener Mensch in der Nacht wiederkehre - den Weihrauch anzünden, den Rosmarin
und die geweihten Palmzweige um sich legen und die Kinder weinen machen.
Später solle sie sich mit einem Kind auf dem Arm ans Fenster begeben und das Licht mitnehmen, das nichts anderes war als ein Totenknochen.
Zitternd vor Furcht befolgte die Neugierige die Angaben, die ihr der Pfarrer gegeben hatte.
Und genau um Mitternacht hörte sie wieder die Prozession vorbeigehen.
Und es näherte sich auch wieder jener Mann und forderte von ihr das Licht zurück.
Und dank der Kinder und der andern Mittel konnte sie der Teufel nicht mitnehmen.
Das war ein gutes Mittel, um die Frau von ihrer Neugier zu heilen.

(Ecuador)
 
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Die einzige Frau

Vor langer Zeit lebten viele Leute im Nordland, aber es gab keine Frau unter ihnen.
Man wußte nur von einem einzigen Weib, das weit im Süden lebte. Schließlich machte sich einer der jungen Männer im Norden auf und reiste gen Süden, bis er zum Haus der Frau kam, wo er blieb und bald ihr Mann wurde.
Eines Tages saß er im Haus, dachte an die Heimat und sagte: "Ah, ich hab eine Frau, und der Sohn des Häuptlings im Norden hat keine!"
Und er gefiel sich sehr in Gedanken an sein gutes Schicksal.
Indessen hatte sich der Häuptlingssohn auch daran gemacht, nach dem Süden zu reisen, und während der andere gerade so zu sich sprach, stand der Häuptlingssohn am Hauseingang und belauschte ihn.
Er wartete am Eingang, bis drinnen alle eingeschlafen waren, kroch dann ins Haus, packte die Frau bei den Schultern und wollte sie wegschleppen.
Wie er den Ausgang erreichte, bemerkte ihn ihr Mann und erwischte seine Frau noch an den Füßen.
Es kam zu einer Rauferei, welche damit endete, daß die Frau auseinandergerissen wurde.
Der Dieb trug die obere Körperhälfte nach Hause ins Nordland, während der Gatte mit der unteren Hälfte seiner Frau zurückblieb.
Jeder der beiden saß nun und versuchte, die fehlenden Teile aus Holz zu schnitzen.
Nachdem sie ergänzt waren, wurde ihnen Leben eingehaucht, und so waren aus den Hälften einer Frau zwei Frauen gemacht.
Die Frau im Süden war allerdings eine schlechte Näherin, was sie der Plumpheit ihrer Holzfinger verdankte; dafür war sie eine gute Tänzerin. Die Frau im Norden war zwar in Näharbeiten gewandt, aber ihre hölzernen Beine machten sie zu einer sehr schwachen Tänzerin.
Jede der Frauen vererbte an ihre Töchter diese Merkmale, so daß noch heute dieser Unterschied zwischen den Frauen des Nordens und denen des Südens besteht - was beweist, daß die Geschichte wahr ist.
(Inuit)
 
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DER STOCK IM EISEN

Als der Stock mit den wunderkünstlichen Nägeln schon lange stand und ihn um und um die Stadt Wien umgab, da ließ der hochweise Rat gemeiner Stadt an sein Eisenband ein gar künstlich Schloß machen und anlegen. Dieses Schloß verfertigte ein fremder Geselle, der von weiter Ferne hergekommen war, so weit, daß niemand recht eigentlich wußte, wo dessen Heimat sei. Wie nun das Schloß am Stocke hing, so fragte der Stadtrat nach dem Preise für die schöne und künstliche Arbeit. Da forderte der Gesell einen gar hohen und schier unerschwinglichen Lohn. Des erschraken der Rat und die Stadtältesten und weigerten dem Gesellen die Zahlung. Darauf ergriff dieser sofort den Schlüssel, schleuderte ihn mit einem Fluche hoch in die Luft und hub sich von dannen. Der Schlüssel soll heute noch herunterfallen. Nun schrieb der Rat einen hohen Preis aus für den, welcher im Stande sei, das Schloß zu öffnen und einen dazu passenden Schlüssel anzufertigen. Viele Schlosser wollten den Preis gewinnen, fertigten Schlüssel auf Schlüssel, aber es begab sich, daß jedesmal, sooft einer den Schlüssel in die Esse brachte, eine unsichtbare Hand den Bart umdrehte, so daß er nicht schließen konnte. Dies tat der Böse, der, und kein anderer, damals der Geselle und Verfertiger des Schlosses gewesen war, den Stadtrat und die Schlosser zu äffen. Nun war bei einem Schlossermeister ein pfiffiger und listenreicher Lehrbub, der simulierte bei sich selbst, wie es wohl anzufangen sei, einen Schlüssel zum Schloß und den Preis dazu zu gewinnen, und fand richtig das Mittel. Er verfertigte in der Feierabendzeit, als Meister und Gesellen die Werkstatt verlassen hatten, in aller Stille einen Schlüssel, setzte den Bart mit dem Lot verkehrt an, brachte ihn in die Kohlen und zog den Blasebalg, daß rings die hellen Funken wie knisternde Blitze durch die Schmiede sprühten. Der immer lauernde Böse war gleich unsichtbar zur Hand, drehte den Bart des Schlüssels um und - war betrogen, denn nun paßte der Schlüssel. Der Lehrbub empfing Lobsprüche über Lobsprüche, empfing den Preis, den der Magistrat ausgesetzt, ward gleich zum Gesellen und bald darauf zum Meister gesprochen und heiratete des Meisters sittsames und bildschönes Töchterlein, das er schon geraume Zeit heimlich liebte.

Zwar ist in späterer Zeit der Schlüssel wieder abhanden gekommen, aber der Stock im Eisen steht immer noch in der Nische eines Hauses an dem Platze, da er vor alters stand, und der seinen Namen "Am Stock im Eisen" führt. Jeder wandernde Schlossergeselle, der nach Wien kam, schlug einen Nagel in den Stock, dem dummen Teufel zum Hohn, und davon hat der Stock ordentlich eine eiserne Rinde bekommen, so daß er mit vollem Rechte den Namen "Stock im Eisen" führt.


Quelle: Volkssagen, Mährchen und Legenden des Kaiserstaates Österreich, Ludwig Bechstein, 1840
 
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DER SCHMIED ZU JÜTERBOG

Zu Jüterbog lebte einmal ein Schmied, der war ein sehr frommer Mann und trug einen schwarzen und weißen Rock; zu ihm kam eines Abends noch ganz spät ein Mann, der gar heilig aussah, und bat ihn um eine Herberge; nun war der Schmied immer freundlich und liebreich zu jedermann, nahm daher den Fremden auch gern und willig auf und bewirtete ihn nach Kräften. Andern Morgens, als der Gast von dannen ziehen wollte, dankte er seinem Wirt herzlich und sagte ihm, er solle drei Bitten tun, die wolle er ihm gewähren. Da bat der Schmied erstlich, daß sein Stuhl hinter dem Ofen, auf dem er abends nach der Arbeit auszuruhen pflegte, die Kraft bekäme, jeden ungebetenen Gast so lange auf sich festzuhalten, bis ihn der Schmied selbst loslasse; zweitens, daß sein Apfelbaum im Garten die Hinaufsteigenden gleicherweise nicht herablasse; drittens, daß aus seinem Kohlensack keiner herauskäme, den er nicht selbst befreite. Diese drei Bitten gewährte auch der fremde Mann und ging darauf von dannen. Nicht lange währte das nun, so kam der Tod, wollte den Schmied holen. Der aber bat ihn, er möge doch, da er sicher von der Reise zu ihm ermüdet sei, sich noch ein wenig auf seinem Stuhl erholen. Da setzte sich denn der Tod auch nieder, und als er nachher wieder aufstehen wollte, saß er fest. Nun bat er den Schmied, er möge ihn doch wieder befreien, allein der wollte es zuerst nicht gewähren; nachher verstand er sich dazu unter der Bedingung, daß er ihm noch zehn Jahre schenke. Das war der Tod gern zufrieden, der Schmied löste ihn, und nun ging er davon. Wie nun die zehn Jahre um waren, kam der Tod wieder, da sagte ihm der Schmied, er solle doch erst auf den Apfelbaum im Garten steigen, einige Äpfel herunterzuholen, sie würden ihnen wohl auf der weiten Reise schmecken. Das tat der Tod, und nun saß er wieder fest. Jetzt rief der Schmied seine Gesellen herbei, die mußten mit schweren eisernen Stangen gewaltig auf den Tod losschlagen, daß er ach und wehe schrie und den Schmied flehentlich bat, er möge ihn doch nur freilassen, er wolle ja gern nie wieder zu ihm kommen. Wie nun der Schmied hörte, daß der Tod ihn ewig leben lassen wolle, hieß er die Gesellen einhalten und entließ jenen vom Baum. Der zog glieder- und lendenlahm davon und konnte nur mit Mühe vorwärts. Da begegnete ihm unterwegs der Teufel, dem er sogleich sein Herzeleid klagte. Aber der lachte ihn nur aus, daß er so dumm gewesen, sich von dem Schmied täuschen zu lassen und meinte, er wolle schon bald mit ihm fertig werden. Darauf ging er in die Stadt und bat den Schmied um ein Nachtlager; nun war's aber schon spät in der Nacht und der Schmied verweigerte es ihm, sagte wenigstens, er könne die Haustür nicht mehr öffnen, wenn er jedoch zum Schlüsselloch hineinfahren wolle, so möge er nur kommen. Das war nun dem Teufel ein leichtes und sogleich huschte er durch, der Schmied war aber klüger als er, hielt innen seinen Kohlensack vor, und wie nun der Teufel darin saß, band er ihn schnell wieder zu, warf den Sack auf den Amboß und ließ seine Gesellen wacker drauflosschmieden. Da flehte der Teufel zwar gar jämmerlich und erbärmlich, sie möchten doch aufhören, aber sie ließen nicht eher nach, bis ihnen die Arme von dem Hämmern müde waren und der Schmied ihnen befahl aufzuhören. So war des Teufels Keckheit und Vorwitz gestraft, und der Schmied ließ ihn nun frei, doch mußte er zu demselben Loch wieder hinaus, wo er hineingeschlüpft war und wird wohl kein Verlangen mehr nach einem zweiten Besuch beim Schmied getragen haben.

Quelle: Kuhn, A./Schwartz, W., Nordeutsche Sagen, Märchen und Gebräuche aus Mecklenburg, Pommern, der Mark, Sachsen, Thüringen, Braunschweig, Hannover, Oldenburg und Westfalen. Leipzig 1848, Nr.88
 
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Die lebendige Puppe

Können die Dinge lebendig werden? Ja, es gibt oft merkwürdige Geschehnisse auf dieser Welt, und man muß deshalb in mancher Hinsicht vorsichtig sein. Aber daran dachten die übermütigen Alpknechte auf der Alp Guschg am Schönberg in jenem guten, warmen Sommer, den sie nie mehr vergessen werden, gar nicht; denn die Arbeit ging ihnen leicht von der Hand, alles gedieh prächtig, so daß sie oft viel Zeit übrig hatten. Sie saßen dann vor ihrer Alphütte und schauten gelangweilt dem weidenden Vieh zu oder trieben Spaße und Schabernack.
Dabei kamen sie auf den abwegigen Gedanken, aus alten herumliegenden Lumpen eine Puppe zu machen, mit der sie nun viel Kurzweil hatten. Sie setzten sie an den Tisch und führten mit ihr dumme Gespräche. Sie nahmen sie plötzlich in den Arm, trugen sie wie ein Kind umher und taten, als wiegten sie sie in den Schlaf, um sie dann unversehens in eine Ecke zu werfen. Oder sie versuchten, ihr Mus und Milch in den Mund zu löffeln, und verschmierten dabei das ungestalte Gesicht der Puppe.
" Red auch einmal, du Tolpatsch!" fuhren sie die Puppe an, und da sie begreiflicherweise nicht antwortete, schlugen sie sie mit Händen und Füßen und lachten sich dabei halbtot.
Aber dann geschah das Unfaßliche und Grauenerregende, daß eines Tages die Puppe wirklich sprach.
Der Herbst war gekommen, die Alpknechte trieben das Vieh zusammen und richteten sich für die Talfahrt.
Am letzten Tage saßen sie noch einmal beim Essen zusammen und hatten dabei auch die Puppe an den Tisch gesetzt, mit der sie wieder unanständige Spaße trieben. Als sie das Mahl beendet hatten und gerade aufstehen wollten, sanken sie wie vom Schlage getroffen auf ihre Sitze zurück; denn die Augen der Puppe begannen plötzlich seltsam und furchtbar zu glitzern. Sie schaute einen um den andern böse und durchdringend an, dann öffnete sie ihren Mund und hohl sprach ihre Stimme: "Ihr könnt alle heimgehen, aber der Senn da", und sie hob den Arm und zeigte auf den fahlen Senn, "der muß bei mir bleiben."
Wie von einer magischen Kraft gehalten, blieb der Senn sitzen, während die Alpknechte schlotternd und bebend die Herde und ihre Geräte sammelten und wie gejagt die Alp verließen. Als sie ein Stück weiter unten waren und sich etwas gefaßt hatten, blickten sie noch einmal scheu zurück, und was sie da sahen, trieb ihnen einen kalten Schauer den Rücken hinunter: Auf dem Dache der Sennhütte war die Haut des Sennen wie zum Trocknen ausgespannt, und daneben saß die lebendig gewordene Puppe, verwarf wild die Arme und lachte, lachte höhnisch und fürchterlich...
Diese Sage hat Lehrer Frömmelt in Triesenberg erzählt, und wer genau zuhört, mag eine Lehre daraus ziehen.

Quelle: Dino Larese, Liechtensteiner Sagen, Basel 1970, S. 29
 
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Der Pujpatzá

Einmal kämpften die Zauberer von Tecpatán mit denen von Ostuacán, die auch Tzapasnos-Quiubay genannt wurden. Die Zauberer von Ostuacán beschlossen, Tecpatán zu zerstören, und alle Einwohner wollten sie im Wasser des Totopac Flusses, der am Rand der Stadt vorbeifließt, ertränken.
Sie schickten also einen Pujpatzá hin, einen Alligator, der sich aufblähen kann. Der Pujpatzá legte sich quer über das Flußbett und schwoll und schwoll, bis er so groß wie ein Gebirge war. Da stieg das Wasser immer mehr an, bis es in die Stadt geflossen kam, und die Menschen zu ertrinken drohten. Und niemand wußte, wie das zu erklären sei, denn von einem Pujpatzá hatten sie noch nie etwas gehört.
Die Zauberer von Tecpatán schickten Tiere aus, die sollten schauen, ob solch ein Alligator nicht auch eine schwache Stelle habe. Aber sie fanden nichts dergleichen. Die Eidechse, der kleine Fisch und die Enten gingen zu ihm hin und vermochten nichts zu entdecken. Auch sie hatten noch nie etwas von einem aufschwellenden Alligator gehört.
Da kam der Krebs und stieg ins Wasser. Er spazierte über die Felsen, und die Strömung trieb ihn gegen den Pujpatzá hin. Mit seinen Zangen tastete er des Tier Stück für Stück ab, bis er eine weiche Stelle gefunden hatte. Und es war die Stelle, wo die Hände und Füße beginnen, die Achseln.
Der Krebs war zufrieden und machte kehrt und sagte es den Zauberern. Und diese sprachen: "Wir wollen Feuer-Iguanas machen und so den Alligator töten."
Zu dieser Zeit bauten die Leute von Ostuacán, die auch Tzapasnos-Quiubay genannt werden, eine gewaltige Mauer, so daß die Leute von Ostuacán nicht nach Tecpatán gehen konnten, und die Leute von Tecpatán nicht nach Ostuacán. Die Leute von Tecpatán gruben Furchen in den Fels nahe dem Platz, der heißt El Azufre, wo schwefelhaltiges Wasser aus dem Boden tritt, und schleuderten die Feuer-Iguanas von dieser Stelle gegen die Mauer, um sie zu zerstören. Man berichtet: als die Feuer-Iguanas an die Mauer stießen, sei diese von den Tieren wie eine Feder aufgehoben und fortgetragen worden.
Nur ein kleiner Teil der Mauer ist stehengeblieben, und da sind heute noch Blutspritzer zu sehen. Danach setzte man die Feuer-Iguanas gegen den Alligator ein. Da man seine schwachen Stellen nun schon kannte, fiel es nicht schwer, mit ihm fertigzuwerden. Die Überschwemmung hatte ein Ende. Die Stadt war gerettet.
(Mexico)
 
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Der Bruderstreit

Vor Zeiten, die so alt sind, daß man beinahe glaubt, sie seien gar nicht gewesen, gab es in dem Land, das man heute Argentinien nennt, überhaupt noch keine Menschen. Auf den Höhen und in den Tälern, auf der weiten Fläche der Pampa und an den großen Flüssen wuchsen vielerlei Bäume und Sträucher, Dorngestrüpp und Gräser wild durcheinander. Sie blühten und gediehen und trugen Samen und Früchte und vermehrten sich. Die großen und kleinen Tiere, die behaarten und lederhäutigen, die gefiederten und beschuppten, sprangen und krochen, schwirrten, flogen und schwammen, zirpten, sangen, brüllten und taten, als wären sie ganz allein auf der Welt. Das dauerte viele Jahre und würde vielleicht auch heute noch so sein. Aber da stiegen eines frühen Morgens, als die Sonne noch halb verschlafen und mit einem großen, rot entzündeten Auge aus dem Wasser emportauchte, zwei Männer mit ihren Frauen an Land. Niemand hatte sie vorher gesehen. Sie kamen aus der Richtung her, wo die Sonne aufging. Als sie die Küste betraten, war niemand da, der sie hätte empfangen können. Nur von einer riesigen Kaktee wehte wie eine blutrote Fahne der wunderschöne, breitgelappte Blütenkelch einer Orchidee. Die Flamingos standen in einer Reihe, und die Löffelenten und die Pinguine, und jeder Vogel nur auf einem Bein, wie zu einer Begrüßungszeremonie aufgestellt, und die beiden Männer und Frauen wunderten sich über diesen sonderbaren Empfang. Die hatten geglaubt, daß sie hier Menschen finden würden, die ihnen ähnlich wären. Es war aber weit und breit nicht die Spur von Lebewesen ihresgleichen zu sehen. Nur Bäume, Sträucher und Gräser waren da. Und Tiere sprangen umher, die sich gar nichts aus den neu angekommenen Menschen machten.
Da gingen die beiden Männer und Frauen ans Werk und begannen, das Feld zu bebauen, das vor ihnen lag. Sie waren fleißig und lebten in Frieden und Eintracht miteinander, viele Jahre lang, bis Kinder kamen und groß wurden und schließlich Männer und Frauen, wie ihre Eltern, und sich ebenfalls zusammentaten. Und nun wollten sie ein Stück Land zum Bebauen haben, darauf jedes Paar für sich wohnen und Kinder haben konnte. Da gab es oft Zank und Streit, manchmal schlugen sich sogar Eltern und Kinder und die Familien untereinander. Aber es war noch immer unblutig abgegangen, und man hatte sich stets wieder schnell versöhnt.
Einmal aber floß Blut. Das geschah nur eines dummen grünen Papageien wegen, den die Frau des Pehuenche und die des Guarani jede für sich haben wollte, weil dieser Vogel sprechen konnte. Da sie sich nicht einigen konnten und immer wieder aufeinander losschlugen, trennten sich die Familien im Zorn. Pehuenche blieb mit Kind und Kindeskindern an der Küste, Guarani wanderte mit seinem Anhang nach Nordwesten hinauf, zu den großen Flüssen und dunklen Wäldern. Aber immer wieder, wenn die Guarani den Pehuenche begegneten, schlugen sie sich blutig und konnten nicht Frieden halten.
Also 'knüpfte' Amáan Pacaric, der weise 'Armáuta' des Inka-Staates, die Geschichte von den ersten Indios und vom ewigen Krieg zwischen den Brüdern zu einem Quipo, den er immer wieder seinen vielen Zuhörern vorlesen mußte. Heute ist diese Geschichte nur ganz wenigen Indios durch mündliche Überlieferung bekannt. Ihm ist wohl zu danken, daß alle Geschichten und Legenden der Indios 'geknüpft' wurden, leider aber sich bis heute nur mündlich erhalten haben, da die Quipos schon längst vermodert sind und eine Schrift in unserem Sinne dort nicht bekannt war.
(Inka, Peru)
 
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DER MILCHSUPPENACKER

Der Milchsuppenacker bei Mühlhausen im Elsass war eine große Heide und das einzige Besitztum einer alten Frau, die sich von seinem spärlichen Ertrage während vieler Jahre kümmerlich ernährte. Da brachen Fehljahre herein, die eine große Teuerung aller Lebensmittel herbeiführten. Die alte Frau, die längst nichts mehr zu ernten hatte, geriet an den Bettelstab, und da der größte Teil der Bürgerschaft selbst verarmt war, so konnte ihr niemand aus der Not helfen. Da klopfte sie eines Morgens, von furchtbarstem Hunger gepeinigt und vor Kälte zitternd, an das Pförtlein des Spitals und bat um ein warmes Milchsüpplein. Sie wolle ja gern, sagte sie, ihr Ein und Alles, nämlich ihre Heide, dafür hingeben. Der Spitalmeister hatte Mitleid mit dem armen Weibe. Er bewirtete sie alsbald mit einer vortrefflichen Milchsuppe und versprach, auch weiterhin für sie zu sorgen. Als die Alte ihre Speise genossen hatte, schlummerte sie ein und erwachte nicht wieder. Das verkommene Heidestück wurde nach und nach durch den Fleiß der Spitalleute und mit Gottes Segen in einen schönen, großen Obstgarten umgewandelt.

Quelle: Fritz Bouchholz, Elsässische Stammeskunde, 1944
 
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Die Gründung von Pernstein

Zu jener Zeit, als noch mächtige, kriegsberühmte Könige in dem längstgesunkenen herrrlichen Welehrad Hof hielten, lebte in jener Gegend, wo nunmehr auf hohem, waldigen Felsenzacken oberhalb des Dorfes Piwonic die öden Trümmer der kühn gebauten Veste Zuberstein über Abgründe herrüberragen, ein armer Köhler in düsterer Abgeschiedenheit, nur seinem Gewerbe nachgehend. Ein ungeheurer Büffel, deren es damals in den Forsten, die das Mährerland größtentheils bedeckten, in Menge gab, erfüllte den friedlichen Burggau des stolzen Welehrad mit Schrecken und Verheerung. Der Landesfürst setzte einen bedeutenden Preis auf die Erlegung dieses Ungethüms. Den Versuch, solchen zu verdienen und das Landvolk von dem drohenden Feinde seines Eigenthums und Lebens zu befreien, hatte schon manchem tapfern Kämpen den Tod gebracht.
Eines Tages näherte sich das Ungethüm der dürftigen Hütte Wieniawas's so - und auch Woitèch wird der Köhler in der Sage genannt - und bedrohte Hab und Gut des einfachen Siedlers mit Zerstörung. Doch Wieniawa faßte den Ur mit einer Hand an den Hörnern und zog ihm mit der andern furchtlos eine Ruthe durch die Nase, an der er ihn nun an den Hof des Königs führte. Wieniawa hielt den Büffel für ein des Herrschers würdiges Geschenk, weil er von seltener Größe war. Alles bewunderte dort das Ungethüm, noch mehr aber Wieniawa's Stärke, zumal, als der Köhler vor den Augen des Königs und seiner Lopoten mit einem Beil dem Thiere auf einen Hieb den Kopf abschlug. Da ihm nun der König eine Gnade angeboten, der Köhler aber bescheidentlich nur bat, ihn auch fürderhin in seinem Gewerbe nicht zu hindern, gefiel dies dem Fürsten so wohl, daß er ihm nicht nur die ganzen umliegenden Berge als Eigenthum schenkte, sondern ihn auch unter seine Ritter aufnahm und ihm zum Andenken den Büffelkopf mit einem durch die Nase gezogenen Ringe im Schilde zu tragen befahl.
Als Wieniawa in seine Berge zurückgekommen war, baute an Stelle seiner Hütte ein geräumiges festes Haus von Holz, und benannte es zum Andenken des von ihm erlegten Büffels, der in slawischer Sprache "zubr" heißt, "Zuberstein", welches dann in der Folge unter die festesten Burgen des Landes gezählt wurde, nun aber längst im Schutte darnieder liegt. Sein Sohn Prsten wählte sich nach des Vaters Hinscheiden eine andere Wohnung, und erbaute zuerst auf felsigen Berge, wo nun das ehrwürdige "Pernstein" sich erhebt, eine hölzerne Veste, um vor den wiederholten Einfällen der feindlichen Nachbarn sicher zu sein. Als man eben mit Graben der Gründe zur Errichtung des neuen Schlosses beschäftigt war, schritt ein frommer, aus Palästina rückkehrender Pilger an der Burgstätte vorüber, und lächelte über die Bemühungen der Bauleute. Er glaubte nicht, daß sie auf solchem schroffen Felsen ein Gebäude aufzuführen im Stande wären, und betheuerte hoch und theuer, daß der Bau nimmer gelingen könne, es geschehe denn, daß sein dürrer Wanderstab, den er nun in die Erde stoße, aufblühe, Sprossen treibe und ein lebendiger Baum würde. Und siehe da! Der trockene Stock bekam Wurzeln, blühte und - die Burg ward aufgebaut, nach dem Gründer Prsten genannt und zum Hauptsitze des Pernstein'schen Geschlechtes erkoren.

Quelle: Das romantische Mähren. Eine Sammlung vaterländischer Sagenstoffe. Hg von Willibald Müller, Ölmütz 1881, S. 305
 
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Das Wetterglöcklein
(Tiroler Oberland)


Vier alte Hexen hausten einst in der Nähe des Inns. Eine kleine Hütte, die eher einem Stalle glich, mit Garten, war ihr Besitz. Sie lebten und arbeiteten miteinander. Zank und Streit waren tägliche Erscheinungen ihrer Gemeinschaft; auseinander gingen sie deswegen nicht, denn sie mußten beisammen bleiben, bis der Tod sie trennte. Wie sie zusammen kamen, davon erzählen uns nachstehende Zeilen.
In einem kleinem Dörfchen im Oberinntale hatten die Bewohner ein Wetterglöcklein, das, trotzdem es die kleinste Glocke weit und breit war, alle großen Wetter vertrieb. Drei Geschlechter waren schon vergangen, niemand konnte sich eines Unwetters erinnern. Sobald das Glöcklein erklang, stoben die Gewitter auseinander und gingen in anderen Orten nieder.
Eine Nachbargemeinde kam zu dem Gedanken, das Glöcklein in dunkler Nacht zu stehlen und zu den Glocken der eigenen Kirche zu hängen. Man wußte aber nicht, wie man es anstellen sollte, um bei der Tat nicht ertappt zu werden. Auf allerlei Pläne kam man, ausführen wollte sie niemand, selbst um viel Geld nicht.
Drei junge Bauerntöchter, denen man nachsagte, daß sie zum Arbeiten zu schön seien, kamen in einer Vollmondnacht an einem bestimmten Platze zusammen. Sie hatten beschlossen, gemeinsam zu der in der Nähe wohnenden Hexe zu gehen, um dieselbe um Rat zu fragen, wie man das bekannte Wetterglöcklein am ehesten hierher bringen könnte.
"Wenn ihr wollt, bringe ich euch die Glocke in der nächsten Neumondnacht zu meiner Hütte her und ihr könnte die Glocke hier abholen", sagte die Hexe, blickte den Töchtern mit ihren sprühenden Hexenaugen in die Augen und zerrte an ihrem Kittel.
"Bring' uns das Glöcklein. Für die Arbeit werden wir dich gut entlohnen", sprachen jubelnd die Töchter.
"Dreimal der Kittel von hinten, dreimal von vorn, wo das Wasser still rauscht, soll unser Häuserl steh'n", murmelte die Hexe. Die Bauerntöchter verstanden die Worte nicht und gingen.
Einige Tage vor der Neumondnacht erboten sich die drei Bauerntöchter die Glocke zu bringen. Viel Geld versprach man ihnen. Den Dreien glänzten die Augen vor Geldfreude, sie spotteten über die dummen Menschen, die nicht verstanden, wie man das Wetterglöcklein am leichtesten entwenden könnte, und ihr Hochmut stieg gewaltig. Ihre Zukunft sahen sie sorglos vor sich, die buntesten Pläne schmiedeten sie, alles würden sie beherrschen und über arme Leute ließen sie manches harte Spottwort fallen.
In der Neumondnacht holten sie das Glöcklein. Von der Hütte der Hexe bis zur Kirche zogen sie es mit einem Räderschlitten. Am anderen Tage tat man die Glocke in den Turm.
"Was nützt uns das Glöcklein? Durch unsaubere Hände ist es gegangen. Es wird eher Unwetter bringen als vertreiben", sprach der Priester, der die Gemeinde betreute, denn ihm gefiel solches Handeln nicht.
Am Abend schien es, als komme ein arges Unwetter. Schnell wurde das Glöcklein geläutet. Wie der Priester es sagte, so kam es. Nicht vertrieben hat das Glöcklein das Wetter, sondern herangezogen.
Als das Unwetter losbrach, nahm der Priester den Kelch aus dem Tabernakel und eilte von Haus zu Haus, er nahm den Leuten die Beichte ab und reichte ihnen den hl. Leib dar. Nur drei Personen in der Gemeinde verweigerten den Empfang der Hostie, es waren die drei Töchter, die die Glocke brachten. Nach dem Priester ging die Hexe von Haus zu Haus, sie suchte die drei Bauerntöchter. Als sie dieselben gefunden hatte, mußten sie mitgehen.
"Dreimal der Kittel von hinten, dreimal von vorn, wo das Wasser still rauscht, soll unser Häuserl steh'n", murmelte die Hexe immer und freute sich auf das Unwetter.
Das Dorf versank, als das Wetterglöcklein nicht mehr läutete; zur selben Stunde kam die Hexe mit den drei Bauerntöchtern, die unterdessen die Schönheit verloren hatten und alte Hexen geworden sind, in der Nähe des Inns an. Ein altes, zerlumptes Häuschen stand dort, welches sie als Wohnung bezogen.
In Neu- und Vollmondnächten eilten die Hexen zum Inn und blickten in dessen Tiefe. Sie sahen ihre Gemeinde mit dem Kirchlein und den Häusern, auch ein Glöcklein hörten sie, es war das Wetterglöcklein. Die Bauerntöchter weinten, die alte Hexe fluchte.


Quelle: Anton Schipflinger in: Sonntagsblatt Oberland, 1938, Nr. 33, S. 6.
 
AW: Sagen und Legende

Der Teufelssee

In einem Dorf lebte einmal ein gewisser Alter mit Namen Pedro, und der hatte einen Sohn, der Juan hieß.
Eines Tages, als Juan gerade zwanzig Jahre alt wurde, sagte zu ihm sein Vater: "Mein Sohn, ich habe ein Geheimnis so lange gehütet, bis du nun zwanzig Jahre alt geworden bist.
Hinter dieser großen Ebene gibt es einen See, den man den Teufelssee nennt.
Und mitten in diesem See steht ein Baum mit goldenen Äpfeln.
Vor dem, der einen solchen Apfel pflückt, teilt sich das Wasser des Sees, und er erblickt einen prächtigen Palast."
Da fragte Juan seinen Vater: "Wer hat denn jenen Palast in den See versenkt?" - Und der Vater antwortete ihm: "Vor alten Zeiten gab es einen entarteten König, der sich nicht um sein Volk kümmerte; und zur Strafe überflutete der Teufel seinen Palast."
Am nächsten Tag machte sich Juan auf den Weg, um den Baum mit den goldenen Äpfeln zu suchen.
Er wanderte durch die Ebene, und als er so mitten auf dem Weg war, hörte er plötzlich ein Gelächter.
Er blickte sich nach allen Seiten um, aber er sah niemanden.
Da kletterte er auf einen Baum, und auf dem Baum saß ein Vogel mit einem schönen Gefieder.
Erneut hörte Juan ein Gelächter, und er fragte sich: "Wer ist das?"
Da sah er den Vogel, der mit den Flügeln schlug, und der mit einer lieblichen Stimme sagte: "Juan, habe keine Angst! Setze deinen Weg zum Teufelssee fort."
Da nahm Juan seinen Weg wieder auf, und er hörte erneut das Gelächter des Teufels, und er sprach bei sich: "Gott, gib mir Kraft!"
So ging es weiter, bis er endlich den Teufelssee erblickte, und in seiner Mitte sah er den Baum mit den goldenen Äpfeln.
Als er gerade einen Apfel pflücken wollte, erschien plötzlich ein Drache mit achtzehn Köpfen, um ihn zu fressen.
Aber Juan sagte: "Mein Gott, verlaß mich nicht!"
Er nahm allen Mut zusammen, zog sein Schwert und stellte sich zum Kampfe.
Als sich der erste Kopf zu ihm beugte, um ihn zu verschlingen, schlug er mit einem kräftigen Hieb ihn vom Rumpf.
Und so kämpfte er weiter, bis er alle achtzehn Köpfe abgeschlagen hatte.
Dann pflückte er einen von den goldenen Äpfeln, und im gleichen Augenblick teilte sich das Wasser zu seinen Füßen, und es erschien ein herrliches Schloß.
Er ging in das Schloß hinein und sah dort seinen Vater mit einem hübschen Mädchen. Und der Vater sagte zu ihm: "Wegen deiner Tapferkeit sollst du dieses Mädchen heiraten, und du wirst der König dieses Volkes werden."
So wurde Juan König jenes Volkes, und er lebte glücklich mit seiner geliebten Frau.


(Ecuador)
 
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Steinverwandelte Zwerge

In Böhmen, nicht weit von Elbogen, liegt in einem rauhen, aber schönen Tal, durch welches sich die Eger bis beinahe ans Karlsbad in mancherlei Krümmungen durchwindet, die berühmte Zwergenhöhle. Die Bewohner der benachbarten Dörfer und Städte erzählen davon folgendes. Diese Felsen wurden in alten Zeiten von kleinen Bergzwergen bewohnt, die im stillen da ihr Wesen trieben. Sie taten niemanden etwas zuleid, vielmehr halfen sie ihren Nachbarn in Not und Trübsal. Lange Zeit wurden sie von einem gewaltigen Geisterbanner beherrscht, einmal aber, als sie eben eine Hochzeit feiern wollten und darum zu ihrer Kirche ausgezogen waren, geriet er in heftigen Zorn und verwandelte sie in Stein, oder vielmehr, da sie unvertilgbare Geister waren, bannte er sie hinein. Die Reihe dieser Felsen heißt noch jetzt die verwünschte Zwergenhochzeit, und man sieht sie in verschiedenen Gestalten auf den Bergspitzen stehen. In der Mitte eines der Felsen zeigt man das Bild eines Zwergs, welcher, als die übrigen dem Bann entfliehen wollten, zu lange im Gemach verweilte und, indem er aus dem Fenster nach Hilfe umherblickte, in Stein verwandelt wurde.

Auch zeigt man auf dem Rathause zu Elbogen noch jetzt die verbannten ruchlosen und goldgeizigen Burggrafen in einem Klumpen klingenden Metall. Der Sage nach soll niemand, der mit einer Todsünde befleckt ist, diesen Klumpen in die Höhe heben können.

Quelle: Deutsche Sagen, Jacob Grimm, Wilhelm Grimm (Brüder Grimm), Kassel 1816/18, Nr. 32
 
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Der Basilisk in der Schönlaterngasse

Am 26. Juni des Jahres 1212 entstand am frühen Morgen in dem Hause eines Bäckermeisters in jenem Stadtteile, der dazumal ,,unterm Tempelhof" hieß und jetzt Schönlaterngasse benannt wird, großes Schreien und Lärmen. Man hörte Wehe- und Hilferufe, und bald versammelte sich eine große Menge neugieriger Leute, die sich erkundigten, was das klägliche Geschrei bedeuten solle. Endlich erschien auch der Stadtrichter zu Pferde, der nachfragte, ob jemand Schaden oder Gewalt angetan worden wäre.

Da trat der Bäckermeister mit bleichem Antlitz aus dem Hause und erzählte dem Stadtrichter die Ursache all dieser Unruhe. Eine seiner Mägde war hinaus in den Hofraum gegangen, um aus dem Ziehbrunnen Wasser zu schöpfen. Bald jedoch kehrte sie unverrichteter Dinge zurück und meldete unter großem Geschrei, daß aus dem Brunnen ein greulicher Gestank heraufdringe, der sie beinahe ohnmächtig gemacht habe. Es funkle und glitzere auch ganz absonderlich in dem Brunnen unten und sie sei vor Schreck beinahe des Todes geworden. Einer der Bäckerknechte verlachte die Magd ob ihrer Furcht, und der rüstige Bursche erbot sich, das seltsame Wunder genauer zu besehen. Er ließ sich an ein Seil binden und mit einer angezündeten Pechfackel in den Brunnen hinab. Kaum war er aber einige Klafter hinabgekommen, erhob auch er ein entsetzliches Geschrei und wurde halbtot wieder schleunigst heraufgezogen.

Nachdem man ihn sorgfältig gelabt hatte, erzählte er mit bebender Stimme: Als er in den Brunnen hinuntergeblickt, habe er ein gar gräßliches Tier bemerkt, fast in Gestalt eines großen Hahns, aber greulich anzusehen, mit vielzackigem Schuppenschweife, plumpen, warzigen Füßen, wunderlich glühenden Augen und einem Krönlein auf dem Haupte. Es habe ihm geschienen, es sei das unholde Tier aus einem Hahn, einer Kröte und einer Schlange zusammengesetzt, und in seinem Leben habe er nichts so Abscheuerregendes gesehen. Er hätte auch sogleich die Augen geschlossen und um Hilfe geschrien, denn es sei ihm vorgekommen, als ob der glühende Blick des Ungeheuers das Blut in seinen Adern erstarren mache, und er wäre, da ihm der widerlichste Gestank die Brust beengt und den Atem verlegt habe, sonder Zweifel jämmerlich gestorben, wenn man ihn nicht schnell hinaufgezogen hätte.

Das Volk stand erstaunt bei dieser Erzählung und wußte sich keines Rates. Da trat ein gelehrter und in der Naturwissenschaft wohl erfahrener Arzt hervor und erklärte nun den Leuten, das greuliche Tier werde Basilisk genannt, entstünde wunderbarerweise aus einem Ei, das ein Hahn gelegt und eine Kröte ausgebrütet habe; daß der berühmte Naturforscher Plinius ein solches Tier beschrieben und gesagt habe, dessen Blick sei so giftig, daß jeder, den er damit erfasse, davon sterben müsse und daß er nur getötet werden könne, wenn man ihm einen blanken Metallspiegel vorhalte. Wenn er dann darin sein eigenes Bild erblicke, entsetze er sich derart über die eigene Scheußlichkeit, daß er vor Wut und Ingrimm zerberste. Übrigens sei ein solches Unternehmen immer mit großer Gefahr verbunden und wolle er damit keine Probe anstellen.

Da war nun guter Rat teuer. Niemand fand sich, der das Abenteuer gewagt hätte. Endlich gab der Stadtrichter den Befehl, große Steine und Erde herbeizuschaffen. Diese wurden in den Brunnen geworfen und somit das Untier zerdrückt und vernichtet. Der Bäckerjunge starb aber noch am selben Tage.
Zum ewigen Gedächtnis wurde nun das getreue Abbild des scheußlichen Ungeheuers in einer Nische des Hauses aufgestellt und mit einer Inschrift versehen.



Quelle: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 12, S. 24f
 
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