Sagen und Legende

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AW: Sagen und Legende

Die Steine der Tränen

Als zu Cuzco der Inka Mayta Capac herrschte, lebte in einer der abgelegensten Ortschaften seines unermeßlichen Reiches ein Silberschmied namens Apasanca.
Da er in seinem Handwerk ungewöhnlich geschickt war, ein großer Künstler sogar, übergab ihm der Häuptling einen großen Barren Silber, damit er ihm ein paar schöne Geräte daraus fertige.
Doch gleich in der ersten Nacht, noch ehe er mit der Arbeit begonnen hatte, drangen Diebe in sein Haus und stahlen den Silberbarren, obwohl Apasanca und zwei Hunde im selben Raume schliefen.
Dieser Diebstahl bedeutete für den Silberschmied den Tod, denn für das Silber war er dem Häuptling haftbar mit seinem Leben, nach dem Gesetz des Landes.
Und nichts hätte ihn vor der Wut des Häuptlings retten können.
Als er so verzweifelt dasaß und keinen Rat mehr wußte, als sich selber zu entleiben, da klopfte es an die Tür, und herein trat ein uraltes Weiblein.
"Hör mich an, mein Sohn", sagte sie. "Pacha mama, die alles sieht und hört, schickt mich her zu dir.
Ich soll dich trösten und ich werde mit dir weinen.
Dein Unglück ist auch mein Unglück." Und schon sank das Weiblein zu Boden und fing ganz schrecklich an zu weinen.
Der Silberschmied wußte nicht gleich, was er sagen sollte.
Aber sein Erstaunen verwandelte sich plötzlich in ein freudiges Erschrecken.
Denn er sah, daß die bitteren Tränen der alten Mutter in dem Augenblick, da sie die Erde berührten, zu lauterem Silber wurden.
Apasanca sammelte die schweren Silbertropfen hastig auf.
Er konnte sie gar nicht so rasch aufheben, wie diese seltsame Frau die silbernen Tränen vergoß.
Dreimal zwei Hände voll hatte der Schmied schon beisammen, als die Frau zu weinen aufhörte und sagte: "Ich glaube, mein Sohn, für heute hast du genug Silber, um morgen daran zu arbeiten.
Sei fleißig und sorge dich nicht mehr.
Morgen werde ich wiederkommen und dir neues Silber weinen.
Und ich werde so lange kommen, bis die Menge wieder beisammen ist, die dir der Häuptling übergeben hat."
Als sich die alte, gebeugte Frau umwandte und die Hütte wieder verlassen wollte, stieg plötzlich das Blut Apasanca zu Kopf und verwirrte seine Sinne.
Er warf sich auf die schwächliche Alte, schleuderte sie zu Boden, band ihr Hände und Füße mit festen Riemen und schlug mitleidlos auf sie ein.
Und die alte Frau, die von Pacha mama geschickt worden war, den Silberschmied zu trösten, krümmte sich vor Schmerzen und weinte bitterlich.
Aber das hatte Apasanca nur gewollt in seinem Wahn und in seiner Gier nach dem Silber, weil alle Tränen der mißhandelten Frau sich in pures Silber verwandelten.
Der rohe Schmied schlug so lange auf die Frau ein, bis ein Hügel von Silbertränen am Boden lag.
Ermüdet hielt Apasanca inne.
Die Frau weinte nicht mehr: aus den Klauen dieses grausamen Menschen hatte sie der Tod erlöst - der Silberschmied war an ihr zum Mörder geworden.
Er packte das zuschandengeschlagene Bündel und warf die Leiche in den Abgrund.
Zufrieden, daß ihm dies alles so glatt von Händen gegangen war, kehrte er in seine Hütte zu dem Silberhaufen zurück.
Doch da durchzuckte es sein Herz wie ein Stich: was vordem eine Menge Silber gewesen war, hatte sich plötzlich zu einem harten Steinblock verwandelt, der wie Tränen schimmerte.
Da hielt es den Silberschmied nicht länger mehr in seiner Hütte.
Er irrte durch die Berge und die tiefen Schluchten der Cordillere, jammernd und klagend, erfüllt von Wut und Verzweiflung.
Eines Nachts kam er, ohne daß es in seinem Willen lag, wieder in die Gegend seines Dorfes und mußte die Baumbrücke überschreiten, von der er die alte Frau, die seine leibhaftige Mutter gewesen war, in die Schlucht hinabgeworfen hatte.
Und die Brücke brach unter ihm zusammen und ließ ihn in die nämliche Tiefe stürzen, zu den kochenden Stromschnellen, die sein Opfer begraben hatten.
Seine Hütte im Dorf aber zerfiel.
Doch der schimmernde Steinblock blieb stehen.
Er steht noch immer an der Landstraße, gleich den vielen anderen Apachetas in dieser Gegend, den Kristallblöcken, die der Pacha mama heilig sind, weil aus ihnen, bis auf den heutigen Tag, die Tränen des Mitleids und des tiefen Schmerzes einer Mutter schimmern.

(Quechua, Peru)
 
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Vom Mönch in der Steinklöbe

Vor mehr als tausend Jahren füllte das Tal der Unstrut bis unterhalb Memlebens ein großer See.
Nachdem man schon mehrfach vergeblich versucht hatte, demselben einen Abfluß zu schaffen, kam das Werk endlich durch einen einzelnen Mann zustande. Und das kam so:
Ein Mönch eines Klosters in der Nähe des Unstrutflusses hatte gegen das Gelübde der Keuschheit verstoßen und war verurteilt worden, lebendig eingemauert zu werden.
Als nun die Zeit der Vollstreckung des Urteils heranrückte, ließ der Mönch seinen Abt um eine letzte Unterredung bitten. Diese wurde ihm gewährt.
Er erbot sich, wenn man ihm das Leben schenken würde, dem See einen Abfluß zu verschaffen, und so dem Kloster ausgedehnte Strecken fruchtbaren Landes zu verschaffen.
Das Angebot schien dem Abt eines Versuchs wert, und man kam überein, dem Mönch den Versuch machen und straflos ausgehen zu lassen, wenn es ihm ohne andere Hilfe gelänge, den Abfluß zu gewährleisten. Nun untersuchte der Mönch sorgfältig die ganze Umgebung und fand heraus, daß unterhalb von Memleben, in der Gegend der heutigen Steinklöbe, der Felsen durchbohrt werden müßte, wenn der Abfluß gelingen sollte.
Alsbald begab er sich an die Arbeit und fing an, einige Fuß unter dem Wasserstand des Sees eine Rinne durch den Felsen zu meißeln. Aber allzubald erkannte er, daß diese Arbeit über seine schwachen Kräfte ging. Deshalb hörte er auf das verführerische Angebot des Teufels, der ihm nur helfen wollte, wenn er ihm seine Seele verschrieb. Der Mönch unterzeichnete mit eigenem Blut diesen schrecklichen Vertrag. Und nun rückte die Arbeit so mächtig voran, daß das Wasser alsbald abzufließen begann, mit reißender Geschwindigkeit durch die Felsenge strömte und sich selber dabei ein Bett auswusch, in dem heute noch die Unstrut zur Saale fließt. Allmählich verschwand der See, und seitdem bedeckt fruchtbarer Schlamm das Ried, und fleißige Menschen bearbeiten den ertragreichen Boden im Tal. Doch der Mönch kam beim Abfluß der gewaltigen Wassermassen ums Leben und wurde so die vorzeitige Beute des Teufels.


Quelle: Sagen und Legenden aus Nebra (Unstrut), Gesammelt und neu erzählt von Rudolf Tomaszewski, Nebra 1987
 
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Der Edelacker bei Freyburg

Landgraf Ludwig II., den man später den Beinamen "der Eiserne" gab, war zu Beginn seiner Herrschaft ein gar milder und gütiger Herr, gerecht und nachsichtig gegen jedermann.
Zu Ruhla, in einer Waldschmiede, wurde er "hart geschmiedet". Ludwig nahm sich die Worte des Schmiedes sehr zu Herzen und ward von Stund an streng und ernsthaft in seinem Wesen, sah auch allenthalben selbst nach dem Rechten, milderte den Druck der Edelleute, strafte die Ungerechten und zwang die Widerspenstigen zum Gehorsam. Das wollten nun einige Ritter und Edelleute nicht leiden. So kam es zum Kampfe, Ludwig bezwang sie mit Heeresmacht und führte sie gefangen mit sich in seine Burg bei Freyburg, die Neuenburg. Dort ließ er sie vor sich hintreten, strafte sie zuerst mit harten Worten, dann aber führte er sie vor die Burg zu einem Acker, fand dort auch einen Pflug stehen und spannte die ungehorsamen Edelleute je vier, nur mit dem Hemde bekleidet, vor denselben und ackerte mit ihnen eine Furche wie man ansonsten mit den Pferden tat. Die Diener führten den Pflug, während der Landgraf mit der Geißel auf die vorgespannten Edelleute hieb und sie antrieb, so daß sie sich beugen mußten und oft auf die Erde fielen.
Wenn eine Furche geackert war, spannte er vier andere Edelleute ein, bis das ganze Feld umgepflügt war.
Hierauf führte er sie wieder zur Burg zurück, da mußten sie ihm von neuem huldigen und den Treueid schwören.
Den Acker aber ließ der Landgraf mit weißen Steinen umhegen, zum ewigen Gedächtnis, und er heißt bis auf den heutigen Tag "Der Edelacker".
Aber er gewann unter den Edelleuten viele heimliche Feinde, auch von deren Kindern und Freunden. Seitdem trug er stets einen eisernen Panzer unter seiner Kleidung. Darum hieß man ihn den "eisernen Landgrafen".


Quelle: Sagen und Legenden aus Nebra (Unstrut), Gesammelt und neu erzählt von Rudolf Tomaszewski, Nebra 1987
 
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Die Überschwemmung von Bogotá

In einer fernen, fernen Zeit, als die Erde noch keinen Mond hatte, lebten auf der Ebene von Bogotá Menschen ohne Kultur als Wilde.
Sie kannten weder den Ackerbau noch Gesetz und Ordnung.

Eines Tages erschien bei den wilden Stämmen ein alter Mann, der aus der Ebene im Osten der Cordillere von Chingasa stammte.
Er war von einer ganz anderen Rasse als die Wilden von Bogotá und hatte einen langen, dichten Bart.
Dieser Greis hörte auf drei verschiedene Namen: Bochica, Nemquetheba und Zuhe.
Er nahm sich um die Menschen an und brachte ihnen bei, nicht mehr nackt zu laufen, sondern sich zu kleiden, die Felder zu bestellen und Früchte zu ernten, Hütten zu bauen und in Gemeinschaft zu leben.

Der Alte brachte auch seine Frau mit, die ebenfalls drei Namen hatte: Chia, Yubecayguaya und Huythaca.
Leider war diese Frau ebenso schön wie denke. Sie haßte die Menschen jener Gegend, und wenn ihr Gatte etwas erschuf, so zerstörte sie es oft wieder.
Durch Zauberei ließ sie den Fluß Funzha so ansteigen, daß er das ganze Tal von Bogotá überschwemmte.
Durch diese Flut ertranken die meisten der Menschen, die dort lebten, und nur wenige konnten sich auf die Gipfel der umliegenden Berge retten.
Als das der Alte sah, wurde er sehr zornig auf seine Frau.
Er verjagte sie von der Erde und bannte sie an den Himmel.
Seit der Zeit hat die Erde den Mond, der in der Nacht leuchtet.

Der Greis Bochica aber wurde von Mitleid mit den Menschen ergriffen, die im Hochgebirge leben mußten; er zerschmetterte die Felsen,
die das Tal von Bogotá auf der Seite von Canoas und Tequendama einschlossen, so daß durch diese Öffnung die Wassermassen abfließen konnten.

Dann führte er die zerstreuten Menschen wieder zusammen, baute ihnen Häuser und Städte, lehrte sie den Kult der Sonne,
ernannte ihre Oberhäupter, je einen für die weltliche und für die geistliche Macht.

Dann zog sich der Greis unter dem Namen Idacanzas in das heilige Tal von Iraca zurück, wo er als Eremit viele tausend Jahre lebte.

(Kolumbien)
 
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DIE HEXENMÜHLE


Vor langer Zeit stand in Hütteldorf an einem Mühlbach die "Glutmühle", die ihren Betrieb nach der Regulierung des Wienflusses einstellen mußte.

In der Mitte des 14. Jahrhunderts als Herzog Rudolf IV. regierte, wurde erzählt, daß in dieser Mühle eine Hexe hausen solle, die sich auf allerlei heidnische Bräuche verstünde. In Vollmondnächten wurde sie beobachtet, wie sie am Flußufer in einem Steinkreis tanzte und die Geister anrief. Manche Leute aus der Umgebung suchten sie auf, weil sie glaubten, daß sie über besondere Heilkräfte verfüge, oder daß sie ihnen sogar etwas über die Verstorbenen erzählen könne.

Auch ein junger Priester war ihren unheimlichen Künsten verfallen und wollte die magischen Fähigkeiten der Hexe dem Herzog für gutes Geld anbieten. Doch Rudolf, der ein gläubiger Christ war, ließ die Hexe und den Pfarrer von seinen Wachen festnehmen. Er verhängte über sie das Todesurteil und befahl die beiden in Säcke einzunähen und dann in der Donau zu ertränken.

Als die Hexe das hörte, bat sie um Gnade und prophezeite Rudolf eine glorreiche Zukunft, wenn er sie verschonen würde. Doch der Herzog ließ sich nicht von ihren Versprechungen erweichen und sie wurde ihrem Schicksal überantwortet.

Der Priester, der von dem harten Urteil erschüttert war, bat um die Erteilung der Sterbesakramente, doch Rudolf verweigerte sie ihm, weil dieser durch seine Verbindung mit dem Bösen kein Recht mehr auf christliche Behandlung hatte. Als der Priester begriff, daß ihm diese letzte Gnade vorenthalten wurde, rief er wütend: "Ich verfluche Euch! Noch innerhalb dieses Jahres werdet Ihr vor dem höchsten Richter stehen und Euch für diese grausame Tat verantworten müssen!"

Nach diesen Worten wurde der Priester zur Donau gebracht und ertränkt. Herzog Rudolf, den seit diesem Fluch immer wieder Ängste quälten, regelte seine Nachfolge und verstarb bald danach.


Quelle: Wien in seinen Sagen, Eva Bauer, Weitra 2002, S. 247
 
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Der Schinken beim Rotenturmtor


"Unter dem Tor war zur rechten Hand also zu lesen: Befind sich irgend hir ein Mann, der mit der Warheit sprechen kann: das ihm sein Heirat nicht geräen (gereue), und fürcht sich nicht für seiner ehrlichen Frauen; der mag diesen Pachen herunder hauen. - Vor sich! aber hin dem Gesichte gleich, stehen unterm Schwiebogen oben an diese Reimen:

Welche Frau ihren Mann oft reuft und schlegt,
Und ihm mit solcher kalten Laugen zweckt,
der soll den Packen lassen henckhen.
Ihr ist ein ander Kirchtag zu schencken.

Packen oder Packhen ist ein alt Teutsches Wort, welches zu unser Zeiten so viel als ein roher Schinken, oder vielmehr eine geräucherte Speck-Seite, welche unter diesem Tohr aus Holz geschnitten und gemahlet, zum steten Gedächtnis aufgehenkt; und wie die Alten sagen: Sei es um der Türkischen Belagerung dieser Stadt willen geschehen; dann da der Türke gesehen: Daß er den Einwohnern, welche sich streitbar, tapffer, Mann-und Ritterlich gehalten, auch sie mit Hunger nicht zu bezwingen vermocht: weil sie ihm dergleichen Speck-Seiten genung heraus gezeiget, sol er darauf zum Abzug veruhrsacht worden sein." (Nach Jac. Sturm)

Über den Schinken erzählte man sich, daß mehr als ein Jahrhundert vorübergegangen, ehe es ein Mann wagte, seine Ansprüche darauf geltend zu machen. Endlich erschien aber einer mit der Behauptung, daß er in seinem Hause unumschränkter Gebieter wäre und demnach mit Recht den Preis fordern könne. Der Magistrat wußte dagegen nichts einzuwenden; er bewilligte die Wegnahme und erließ dazu die nötigen Befehle. Eine große Menge Volkes versammelte sich, um das denkwürdige Schauspiel mit anzusehen. Schon war die Leiter aufgestellt, auf welcher der Mann aller Männer hinansteigen und das ominöse Denkmal früherer Zeiten als Siegestrophäe holen sollte; da weigerte er sich plötzlich, den Akt selbst zu vollführen, und bat um einen Stellvertreter, indem er hinzufügte: "Ich habe, um als Sieger würdig zu erscheinen, meine besten Kleider angezogen; wie leicht sind sie beschmutzt, und ich werde darüber zu Hause von meiner Frau tüchtig gescholten." - Das versammelte Volk brach nun in ein schallendes Gelächter aus, der unumschränkte Gebieter aber zog sich tiefbeschämt zurück und verschwand unter der Menge. Wie früher soll sich auch später kein Mann mehr gefunden haben, der Ansprüche auf die Speckseite erhoben hätte.



Quelle: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien, herausgegeben von Gustav Gugitz, Wien 1952, Nr. 131, S. 138f
 
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Das Hexenweib

Sie sagen, im Bezirk von San Cristobal Las Casas, in der Gegend, in der die Leute Nahuatl sprechen, lebte ein Mann und ein Weib.
Die Frau war eine Hexe. Sie betrog ihren Mann.
Sie hatte die Angewohnheit, ein paar Zauberworte zu murmeln, und schon fiel ihr das Fleisch von den Knochen.
Nur das Skelett blieb von ihr übrig.
Darauf wuchsen ihr Flügel, und das Skelett flog durch die Luft.
In dieser Gestalt zog sie die ganze Nacht herum und erschreckte die Leute.
Als ihr Ehemann dahinterkam, daß sie sich jede Nacht verwandelte, beschloß er, sie zu bestrafen. Eines Nachts tat er so, als ob er schlafe.
Als er beobachtete, wie seine Frau aufstand und hinausging, folgte er ihr.
Er verbarg sich im Schatten und sah, wie ihr das Fleisch von den Knochen fiel und ihr Flügel wuchsen.
Dann sah er sie fortfliegen, und dabei gab es ein Geräusch, als würden die Knochen zusammenkrachen.
Als er nun seine Furcht überwunden hatte, trat er aus dem Schatten hervor zu der Stelle hin, an der das Fleisch lag, und hackte es mit der Machete in kleine Stücke.
Dann streute er Salz darauf.
Nachdem das getan war, trat er wieder in den Schatten zurück und wartete auf die Rückkehr der Hexe.
Sie kam und trat vor das Fleisch.
Sie sagte das Zauberwort.
Aber das Fleisch gehorchte ihr nicht.
Es war tot. Das Salz hatte es getötet.
Das Skelett flog fort. Manchmal sah man es noch.
Man erzählt sich, wer es sehe, müsse bald darauf sterben.


(Mexico)
 
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Die Rosen von Pougues

Nördlich von Nevers, genau in der Mitte Frankreichs, liegt die kleine Stadt Pougues, im Sommer wegen ihrer Mineralquellen stark besucht. Das kalte eisenhaltige Wasser wird gegen Nierenleiden empfohlen. Die Stadt lehnt sich an einen Berg, von dem aus man die Loire sieht, die sich wie ein silbernes Band durch das Tal schlängelt. Über dem Tal erhebt sich der alte Turm des hochgelegenen Ortes Cancerre, er blickt hinüber zu den südlichen Turmspitzen von Nevers und zu den Bergkuppen der Auvergne, die blau und fern emporragen.
Eines Tages klagte Heinrich der Dritte, König von Frankreich, über Nierenschmerzen. "Ach, Miron", sagte er zu seinem Leibarzt, "ich glaube, ich bin verhext."
Der würdige Doktor lächelte fein. "Was eure Hoheit krank macht, sind keine Hexenmeister, sondern hübsche, ganz wirkliche Hexen. Bleibt ein paar Tage ganz ruhig und trinkt das Wasser von Pougues."
Das tat der König, und das Wasser bekam ihm so gut, daß seine Mutter, Katharina von Medici, die sich ebenfalls behext fühlte, auch davon trank. Auch ihre Leiden wurden dadurch gelindert, und sie ließ für die Bequemlichkeit der anreisenden Kranken eine Anstalt bauen, von der man heute nur noch verfallene Mauern sehen kann. Aber der Ruf der Quellen war begründet, und berühmte Zeitgenossen hielten sich dort in den folgenden Jahrhunderten auf.
Den Kurgästen, die heute auf jenem Berg Blumen pflücken und die herrliche Aussicht genießen, ist dieser Werdegang kaum geläufig. Eher erfahren sie eine andere, viel wehmütigere Geschichte. Sie hat mit dem Duft der Rosen zu tun, die auf dem Berg wachsen, weißer Rosen, wie man sie schöner nirgends sehen kann . . .
Vor langer Zeit lebte in dieser Gegend ein Ritter. Er hatte drei Töchter, die sehr schön waren. Besonders die jüngste, Emma mit Namen, gefiel allen jungen Männern. Eines Tages, als Emma sechzehn war, zog der Ritter nach Spanien und ließ seine Töchter mit dem Burgkaplan allein. Die Mutter war seit fünf Jahren tot.
In der Nacht, als der Vater genau zwei Wochen im Süden weilte, hatten die drei Schwestern den gleichen Traum. Sie träumten, eine von ihnen würde vom Blitz erschlagen werden. Weinend umarmten sie sich. "Wenn es nur nicht Emma ist!" riefen die beiden älteren, "der Vater hat sie so gern. Wenn es uns trifft, wird er weinen, trifft es sie, so stirbt er vor Schmerz."
Gegen Mittag des nächsten Tages belud sich der Himmel mit dicken, schwarzen Wolken, ein Gewitter zog grollend herauf. Direkt über dem Haus entlud es sich. Noch nie hatte der Donner so furchtbar über dem Land getobt, und doch wehte kein Lüftchen, kein Tropfen Regen fiel.
Die älteste Schwester sagte: "Ich will dem Schicksal gehorchen, ich gehe hinaus." Sie setzte sich auf eine Bank, mitten im Park. Den ganzen Tag saß sie dort; das Gewitter tobte ununterbrochen. Sie wartete aber vergebens, kein tödlicher Blitzschlag traf sie.
Die zweite ging hinaus. "Mich ruft der Donner, ich muß ihm gehorchen." Der Donner rollte fön und fön über den schwarzen Wolkenhimmel, aber kein Blitz fuhr zu dem Mädchen nieder, obwohl sie die ganze Nacht draußen ausharrte.
Da sagte Emma: "Seht ihr nun, ich bin es, die sterben wird. Lebt wohl, Schwestern, denkt bisweilen an mich." Sie zog ihr schönstes Kleid an, schmückte ihr blondes Haar mit einem Kranz weißer Rosen und ging zu der Bank im Park hinüber.
Kaum hatte sie Platz genommen, als ein furchtbarer Donnerschlag die Luft erschütterte und ein flammender Blitz auf das juhge Mädchen niederfuhr. Sofort danach teilten sich die Wolken, der Himmel erstrahlte in reinstem Blau, der Ort, wo das Mädchen gesessen hatte, war leer - bis auf den weißen Rosenkranz.
Seit diesem Tag geschah es, daß man jedesmal, wenn ein Gewitter die Gegend bedrohte, den Schatten eines weißgekleideten, mit Rosen bekränzten Mädchens durch den Park irren sah. Sie ging über die Täler, sie beschützte die Ernte der Bauern, Kinder, die der Donner ängstigte, schaukelte sie in die Wiege; sie hielt die Bäume am Boden fest, die der Sturm entwurzeln wollte, überströmende Bäche hielt sie in ihrem Bett zurück. Auch der Zaghafteste faßte wieder Lebensmut, wenn er der weißen, nächtlichen Erscheinung begegnet war.
Einmal kam ein armer Bauer den bewaldeten Hügel herab, über den die Straße von Nevers führt, und wollte in sein Dorf. Er trieb seine Ziegen vor sich her - oder vielmehr: er ließ sich von ihnen leiten, denn Trauer zerfraß sein Herz, Er wollte Bertha, seine hübsche Freundin heiraten, die er mehr liebte als seine ganze Herde. Aber am nächsten Tag wollten die Herrschenden der Gegend seine Herde pfänden, und er konnte sich dagegen nicht wehren. Ohne Herde, ohne Geld, wie sollte er da heiraten?
Von solchen Gedanken geplagt, ging er weinend den Weg hinunter. Er bemerkte die große, schwarze Wolke nicht, die von Westen heraufzog und in der ein dumpfer Donner rollte. Weiter schritt er seinen Tieren nach, die Wolke kam immer näher. Plötzlich, als der Bauer aufblickte, fand er sich in der Nähe der alten Burg wieder, die gar nicht auf seinem Weg lag. Und auf einmal brach das Gewitter mit derartiger Gewalt aus, wie er es noch nie erlebt hatte. Dabei wehte kein Lüftchen, kein Tropfen Regen war zu spüren.
Der Bauer war zu bekümmert, um ängstlich zu sein, seine Alltagssorgen waren stärker, als alle Furcht vor dem Unwirklichen. Dennoch blieb er erschrocken stehen, als er beim Schein eines Blitzes eine ganz weiß gekleidete junge Frau auf dem Weg stehen sah. Als er nah bei ihr war, nahm sie ihre Kopfbedeckung ab. "Hör mal, Bauer, ich will dir etwas schenken. Siehst du die Rosen hier? Willst du sie haben?"
"Sie sind sehr schön, fremde Dame. Aber - Rosen für mich?
Morgen verkauft man meine Herde, man wird auch mein Bett verkaufen, mein Haus! Nein, ich brauche keine Rosen!"
"Nimm sie nur", sagte die Frau beharrlich. Ein trauriges Lächeln lag auf ihren Zügen.
"Nun gut, ich will eine für meine Bertha nehmen. So hab' ich wenigstens etwas, das ich ihr schenken kann. Eine Blume wird man mir wohl nicht pfänden. Und wenn ich das Tal verlassen habe, wird Bertha etwas haben, das sie an mich erinnert."
"Hier, Bauer, da ist eine für deine Freundin, eine für dich, für deine Mutter eine, diese da ist für deine Gläubiger, und die anderen behalte zum Andenken an die weiße Dame. Du bist der letzte, der mich sieht. Meine Zeit ist vorüber. Heute, auf die Stunde genau vor zehn Jahren, hat mich auf dieser Bank der Blitz..."
Ein furchtbarer Donnerschlag beendete ihre Worte. Erschrocken fuhr der Bauer zusammen. Als er die Augen wieder hob, war die Erscheinung verschwunden, das Haus selbst in Schutt und Asche versunken. Das Gewitter war spurlos vorüber.
In seiner Hand hielt der arme Bauer acht schwere, goldene Rosen. Er schenkte die erste seiner Berta, behielt eine für sich, gab eine andere seiner Mutter, die dritte seinen Gläubigern und die restlichen behielt er als Andenken an die weiße Dame von Pougues, die nicht wieder gesehen wurde, auch nicht bei der Hochzeit des Bauern, acht Tage später.
Die Trümmer des Hauses bedeckten sich mit Gras und Blumen. Keine Blume wird dort so heimisch wie die weiße Rose, die in vollen, duftenden Büschen aus den Ruinen hervorwächst. Der ganze Berg steht voll davon.


Quelle: (eine Sage aus dem Rivernais, in: Herman Semmig, Fern von Paris, Leipzig o. J. Frankreich)
 
AW: Sagen und Legende

Der Lindwurm

In alten Zeiten hat in der Gegend des Ellberges, und zwar an seinem nördlichen Fusse im sogenannten Laubwinkel ein Lindwurm gehaust, der die Bewohner von Mäls in Furcht und Schrecken versetzte. Das Gebiet, welches heute das Oberfeld genannt wird, war damals ein sumpfiges, unwirtsames, vom Rhein bespültes Gelände; Eichenwälder, Hecken und Gebüsche gab es hier. Hauptsächlich soll sich das Untier in einem dem Dorfe Mäls nahegelegenen Sumpfe aufgehalten haben.

Um den Lindwurm vom Dorfe abzuhalten, sollen ihm die Bewohner von Mäls Futter hinausgetragen haben, Kälber, Schafe, Ziegen, die sie in der Nähe des Sumpfes niederlegten.

Um dem Ungeheuer abzukommen, wurden am Nordende des Ellberges grosse Netze gespannt, in die es sich verwickeln sollte. (Man sagt zu diesem Platze noch die "Garnrichte"). Das Tier fing sich aber nicht und hauste zum Schrecken der Mälsner weiter.

Da dem Tier auf natürlichem Wege nicht beizukommen war, nahmen die Leute Zuflucht zur Mutter Gottes und versprachen, wenn der Lindwurm verschwinden würde, zu Ehren der Mutter Gottes eine Kapelle zu erbauen, und sie hielten eine neuntägige Andacht zu Ehren Marias. Und siehe ! Ihr Gebet wurde erhört. Der Lindwurm verschwand plötzlich und kam nie mehr zum Vorschein. Zum Danke dafür soll das Wallfahrtskirchlein Mariahilf erbaut worden sein, das dann vergrössert wurde. Oben auf dem Turme erblicken wir auch wirklich einen aus Blech nachgebildeten Drachenkopf, und in der Nähe des Kirchleins befinden sich hoch oben in der Felswand einige grosse Löcher, im Volksmund "Drachenlöcher" genannt.


Quelle: Sagen aus Liechtenstein, Otto Seger, Nendeln/Liechtenstein, 1966/1980, Nr. 1
 
AW: Sagen und Legende

Der Lindwurm und die Kapelle Mariahilf bei Balzers

In einem Sumpf in der Nähe des Dorfes Mals bei Balzers hielt sich vor Zeiten ein Lindwurm auf, der den Bewohnern der Umgebung schweren Schaden zufügte. Alles hatten sie schon versucht, um das Ungetüm sich vom Leibe zu halten oder zu vertreiben, doch umsonst. Da dem Drachen auf natürlichem Wege nicht beizukommen war, versuchten es die Bewohner mit übernatürlichen Mitteln. Sie hielten zu Ehren der Mutter Gottes eine neuntägige Andacht und versprachen, wenn der Lindwurm verschwinden würde, ihr zu Ehren eine Kapelle zu erbauen. Siehe da, ihr Gebet wurde erhörtm, das Tier verschwand plötzlich und wurde nicht mehr gesehen. Zum Dank dafür soll dann das Wallfahrtskirchlein Mariahilf erbaut worden sein, das dann nach und nach vergrößert wurde. - Oben auf dem Turm des Kirchleins sieht man denn auch einen aus Blech nachgebildeten Drachenkopf; in der Nähe der Kapelle, hoch oben in einer Felswand, sind noch einige große Löcher, die im Volksmunde "Drachenlöcher" genannt werden.


Quelle: Anna Hensler, in: Rund um Vorarlberger Gotteshäuser, Heimatbilder aus Geschichte, Legende, Kunst und Brauchtum, Bregenz 1936, S. 64
 
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EIN GUTER GEIST

In Triesenberg stand ein Bauernhaus, darin aber war ein Geist, und die Leute bekamen es mit der Angst zu tun und zogen aus.

Ein armer Familienvater, der kein eigenes Haus besass, kaufte es um wenig Geld, denn die Geschichte vom Geist hatte sich herumgesprochen, und niemand wollte es erwerben. Seine Frau und die Kinder wollten nicht einziehen, denn sie hatten Angst. Da sagte der Vater schliesslich: "Heute abend schlafe ich allein in unserem Hause, und am Morgen werde ich euch sagen, ob überhaupt ein Geist drin ist".

So ging er also am Abend in sein Haus. Als er eintrat, sah er wirklich den Geist auf der Stiege sitzen. Mutig ging er auf ihn zu und sprach ihn an: "Ich fürchte mich gar nicht vor dir, aber kannst du dich nicht vor meiner Frau und den Kindern unsichtbar machen ?" Der Geist antwortete: "Ja, das kann ich, und ich will es tun". Der Mann legte sich zur Ruhe und schlief herrlich in der ersten Nacht im eigenen Hause. Am Morgen ging er freudig zu seiner Familie und teilte ihr mit, sie könnten ohne weiteres einziehen, es sei kein Geist zu sehen.
Sofort wurde übersiedelt. Die Frau und die Kinder bemerkten wirklich nichts, der Vater aber konnte sehen, wie sie ahnungslos neben dem Geiste vorübergingen.

Einmal sass der Mann im Wirtshaus; da klopfte es plötzlich am Fenster. Der Geist war draussen und meldete, es sei Feuer in seinem Hause ausgebrochen. Geist und Mann liefen zusammen heim, und es war wirklich so. Das Feuer konnte gelöscht werden, bevor grosser Schaden entstand.

Der Bauer arbeitete im Walde. Wieder stand auf einmal der Geist vor ihm und hiess ihn heimkommen, eine Kuh sei am Ersticken. Sie konnte gerade noch gerettet werden.

Im Sommer musste der Familienvater einmal verreisen. Wie aus dem Boden aufgetaucht, stand der Geist vor ihm und berichtete, dass seine Frau schwer erkrankt sei.

Der Geist begleitete ihn und erzählte von seinem Schicksal: "Ich habe zu meinen Lebzeiten dreimal armen Leuten nicht aus der Not geholfen, und nun musste ich warten, bis ein Mensch kam, der mich nicht fürchtete und dem ich dreimal aus der Not helfen konnte. Das ist nun geschehen. Du sollst in deinem Leben glücklich sein, und ich bin erlöst".

Der Geist verschwand und kehrte nie wieder. Mann und Kinder pflegten die Kranke. Sie wurde gesund, und die Familie lebte fortan glücklich in ihrem Hause.


Quelle: Sagen aus Liechtenstein, Otto Seger, Nendeln/Liechtenstein, 1966/1980, Nr. 42
 
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Warum die Frauen keine Bärte haben

Vor langer Zeit war Pupilla, der gefleckte Beutelmarder, ein großer Jäger und lebte in einem versteckten Erdloch am Flußufer.
Eines Tages kamen fremde Menschen herbei, um auf Fischfang zu gehen, und schlugen ihr Nachtlager in der Nähe der Marderhöhle auf.
Pupilla, der am nächsten Morgen wie gewohnt durch den dämmrigen Busch streifte, fand die geknüpften Fischernetze unbewacht am Ufer liegen.
Ohne zu zögern raffte er die Netze zusammen und verbarg sie tief unten in seinem Bau.
Dann ließ er sich zufrieden am Eingang nieder und wartete ab.
Die Fremden, über den Verlust in große Bestürzung geraten, nahmen sogleich die Fährte des Diebes auf.
Als sie die Höhle des gefleckten Räubers erreichten, sahen sie eines seiner zottigen Beine aus der Erde hervorragen.
Vorsichtig schlichen die stärksten Männer näher heran, packten die klauenbewehrte Pfote und versuchten, den Marder unter Aufbietung aller Kräfte aus dem Loch zu zerren.
Hin und her wogte der Kampf, bis es dem geschmeidigen Pupilla schließlich gelang, den harten Griffen der Jäger zu entkommen.
Fauchend brachte er sich in der Tiefe des Baus in Sicherheit und starrte nach oben in die wutverzerrten Gesichter der Männer und Frauen, die ihre Speere und Bumerangs nach ihm warfen.
Der schlaue Marder würgte jedoch dicke Rauchwolken aus seinem weit aufgerissenen Maul hervor, die ihn unsichtbar machten und vor den tödlichen Waffen der Feinde schützten.
Dieser farbige Rauch aber stieg zum Himmel auf, wo er seither den prächtigen Regenbogen bildet.
Die beißenden Schwaden zwangen die Fremden, die Verfolgung aufzugeben, und niedergeschlagen kehrten sie ins Lager zurück.
Sobald jedoch die Rauchwolken verzogen waren, ergriffen sie ihre Waffen und stürzten von neuem herbei.
Ein zweites Mal sah Pupilla die Köpfe der Feinde über den Rand der Höhle ragen.
Alle hatten sie haarige struppige Gesichter, denn in der alten Zeit wuchsen selbst den Frauen dichte Bärte.
Wieder prasselten die Speere und Wurfkeulen herab.
Da stieß der grimmige Marder glühende Feuerzungen aus seinem Rachen, die wie Blitze nach oben schossen.
Die Männer hatten die auflodernden Flammen rechtzeitig bemerkt und sprangen im letzten Augenblick zurück.
Die Frauen hingegen waren von dieser Tat Pupillas so beeindruckt, daß sie sich nicht schnell genug abwandten.
Da wurden ihre Bärte auch schon von den feurigen Strahlen erfaßt und bis auf die Haut abgesengt, so daß die Haare nie mehr nachwachsen konnten.
Deshalb tragen die Frauen auch bis zum heutigen Tage keine Bärte mehr.
Als die entsetzten Männer sahen, wie ihre Frauen und Töchter verunstaltet waren, schworen sie Pupilla blutige Rache und führten einen langen erbitterten Kampf gegen ihn.
Zuletzt wußte der Marder sich nur noch dadurch zu retten, daß er weit nach Westen floh, immer der untergehenden Sonne entgegen.
Dort in der Fremde schlug er sein einsames Lager auf und lebte kärglich von Fladen aus gemahlenen Grassamen.
Nach einiger Zeit beschloß Pupilla, in seine angestammten Jagdgründe zurückzukehren, um die Feinde zu bestrafen, die ihn vertrieben hatten.
So trat er eines Morgens den weiten Heimweg an, auf dem Rücken die Mahlsteine zum Zerreiben der harten Samenkörner.
Den ganzen Tag über marschierte Pupilla in der glühenden Hitze, bis er am Abend bestürzt feststellen mußte, daß er genau an seinen Ausgangspunkt zurückgekommen war.
In aller Frühe unternahm der Marder einen zweiten Versuch, nur um sich bei Einbruch der Dämmerung erneut müde und erschöpft am gleichen Ort wiederzufinden.
So geht es nun schon, seit die Geschichte von den Fischern und dem Beutelmarder erzählt wird.
Jeden Morgen bricht Pupilla in seine heimischen Jagdgründe auf, aber die untergehende Sonne trifft ihn stets an der selben Stelle.
(Aborigines)
 
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AW: Sagen und Legende

Das Donauweibchen

In der Zeit als Wien noch ein ganz kleines Städtchen war und an der Donau kleine Fischerhütten standen, lebte in einer solchen Behausung ein alter Fischer mit einem erwachsenen Sohn, die dort ihr Handwerk betrieben, wobei sie sich mehr auf dem Wasser, als auf dem Land aufhielten. Nur im Winter, wenn der Donaustrom fest zugefroren war, hausten die beiden Männer in ihrer Hütte, machten neue Netze oder besserten die alten aus, setzten ihre Kähne instand und lebten heiter und zufrieden. Dabei unterhielten sie sich oft von ihren Erlebnissen auf ihren Fischzügen und der Alte wußte von Wassergeistern und Nixen zu erzählen. Auf dem Grunde des Donaustromes sei ein großer Glaspalast, in dem der Donaufürst mit seiner Frau, seinen Söhnen und Töchtern, den zierlichen Nixen, lebe. Auf großen Tischen stünden umgestülpte irdene Töpfe, unter denen die Seelen der Ertrunkenen gefangengehalten werden. Der Neck werde oft als Jäger verkleidet am Stromufer lustwandelnd im Mondenscheine angetroffen, und man dürfe ihn ja nicht ansprechen, wenn man nicht sofort von ihm angegriffen und ins Wasser gezogen sein wolle. Die Nixen seien gar liebliche Mädchen, die aber namentlich junge Männer durch ihren verführerischen Gesang in den Strom lockten. Diese Wassergeister kämen sogar in die Tanzstuben und tanzten bis zum ersten Hahnenschrei. Dann müßten sie aber gleich nach Hause eilen, sonst würden sie von ihrem Vater, dem Neck, furchtbar gestraft oder gar getötet. Sei das Donauwasser des Morgens trübe, so hätten die Nixen Schläge von ihrem Vater bekommen, sei es aber blutig rot, dann lebten sie gar nicht mehr.
Aufmerksam hörte der Sohn den Erzählungen seines Vaters zu, aber er wollte sie nicht recht glauben, denn niemals hatte er solche Wassergeister gesehen. Plötzlich erleuchtete sich die Stube und eine Mädchengestalt in schimmernd weißem Gewande mit weißen Wasserrosen in dem schwarzen Haar stand vor den beiden Männern. "Erschreckt nicht" sagte sie, "ich tue euch nichts zuleide; ich komme nur, euch zu warnen. Bald wird Tauwetter eintreten, das Eis des Stromes wird krachend in Stücke gehen, die Hochflut wird sich über die Auen ergießen. Seid auf Eurer Hut und flieht weit in das Land hinein, sonst seid ihr verloren."
Die beiden Männer wußten nicht, ob sie wachten oder träumten, denn so plötzlich, wie die Wassernixe gekommen war, war sie auch verschwunden. Aber sie hatten sie doch beide gesehen und ihre liebliche Stimme gehört.
Sie glaubten ihr und rasch eilten sie trotz des Schneesturmes in die anderen Fischerhütten und erzählten, was ihnen die Wassernixe gesagt hatte. Schon in wenigen Tagen boten der Donaustrom und seine weiten Auen ein ganz verändertes Bild. Ein großer See war entstanden, aus dem nur die Rauchfänge der Fischerhütten hervorlugten, aber keiner von den Bewohnern dieser Hütten war ums Leben gekommen, denn alle hatten den Rat der guten Nixe befolgt.
Wieder war der Strom in seinen alten Lauf zurückgekehrt und alles war glücklich in der herrlichen Frühlingszeit. Nur der junge Fischer konnte seit dem Tage, als er die Nixe gesehen, nicht mehr den Frieden seines Herzens finden. Sein Vater merkte dies und böse Ahnungen erfüllten ihn.
Am liebsten fuhr nun der Sohn auf seinem Kahne auf dem weiten Donaustrom umher, sah träumerisch über die Wasser, und so traurig und schmerzbeklommen, wie er vom Hause fortging, so traurig kehrte er immer wieder heim. Eines Tages aber erschien er nicht mehr. Weinend saß der greise Vater vor seiner Hütte; sein armer Sohn hatte in den Fluten der Donau den Frieden seines Herzens gefunden und sein Kahn wiegte sich schaukelnd und herrenlos auf der weiten Wasserfläche. Das Donauweibchen hat seither niemand mehr gesehen.
Quelle: Die Sagen und Legenden der Stadt Wien
 
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